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Norbert Lins trifft… (Folge 4)
Am 13. Dezember 2024 nahm ich auf Einladung meines Parteikollegen und Bundestagsabgeordneten Axel Müller an der Sonderausgabe der Schockenhoff-Lecture teil. Ehrengäste dieses Abends waren der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Stephan Harbarth, und die russische Menschenrechtlerin Dr. Irina Scherbakowa.
Im voll besetzen Konzerthaus Ravensburg konnte ich den Ausführungen der beiden Ehrengäste, Oberbürgermeister Dr. Daniel Rapp, natürlich Axel Müller und der Moderation des Politikwissenschaftlers und Journalisten Christoph Plate aus der ersten Reihe folgen, wo ich zwischen den Bundestagsabgeordneten Thomas Bareiß und Josef Rief saß.
Die Schockenhoff-Lecture wurde in Erinnerung an den Bundestagsabgeordneten Dr. Andreas Schockenhoff ins Leben gerufen. Schockenhoff war im Dezember 2014 überraschend verstorben. Zur ersten Schockenhoff-Lecture 2019 kam die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel nach Ravensburg. 2023 war der Bundespräsident a.D. Joachim Gauck der Ehrengast und Hauptredner.
Schockenhoff war seit 1990 Abgeordneter des Deutschen Bundestags und seit 2005 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er war für die Bereiche Außen-, Verteidigungs- und Europapolitik zuständig. Als begeisterter Europäer lag ihm die deutsch–französische Freundschaft sehr am Herzen. Das zweite Hauptaugenmerk richtete Andreas Schockenhoff auf Osteuropa und Russland. Er war von 2006 bis 2013 für die Bundesregierung als Koordinator für die deutsch–russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit tätig. Er war mit Menschenrechtlern, Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen vernetzt und beklagte die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland sparte Schockenhoff auch nicht mit Kritik am russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dabei stieß er sowohl in Berlin als auch in seinem Wahlkreis auf Gegenwird.
Doch seine Kritik zeichnet sich rückblickend als sehr weitsichtig aus. Seine Warnungen könnten heute genauso wiederholt werden. Das betonte auch Dr. Irina Scherbakowa. Scherbakowa, 1949 in Moskau geboren, zeichnete Anfang der 1980er Jahre Gespräche mit Überlebenden des Gulags auf. 1989 war sie an der Gründung der Organisation Memorial beteiligt, die 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Memorial engagiert sich für eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Stalinismus in der ehemaligen Sowjetunion. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sowie der Auflösung von Memorial, die staatlich angeordnet wurde, verließ Scherbakowa Russland. Sie lebt heute in Berlin und in Israel und ist Vorstandsvorsitzende der Exilorganisation Memorial Zukunft.
Schon im Nachruf im Jahre 2014 schrieb Memorial: „In dieser schwierigen Zeit wird uns Andreas Schockenhoff sehr fehlen.“ Scherbakowa sagte, dass die moralische Unterstützung durch den Bundestag sehr wichtig war und in Erinnerung an Andreas Schockenhoff fügte sie hinzu: „Es ist tragisch, dass seine Warnungen nicht ernst genommen wurden. Jahrelang wollte man in Deutschland nicht an das Offensichtliche glauben.“
Prof. Dr. Stephan Harbarth, Jahrgang 1971, war von 2009 bis 2018 Abgeordneter des Deutschen Bundestags für den Wahlkreis Rhein-Neckar und damit auch ein Kollege von Schockenhoff. Harbarth hatte Rechtswissenschaften an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg studiert. Das Studium schloss er mit dem Ersten und Zweiten Juristischen Staatsexamen ab. In Mannheim begann im Jahr 2000 seine Laufbahn als Rechtsanwalt. Von 2004 bis 2018 unterrichtete Harbarth als ehrenamtlicher Lehrbeauftragter an der Juristischen Fakultät in Heidelberg und wurde 2018 dort zum Honorarprofessor berufen. Als Andreas Voßkuhle nach zwölf Jahren Amtszeit als Präsident des höchsten deutschen Gerichts ausschied, wählte der Bundesrat Stephan Harbarth am 15. Mai 2020 zum neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. In dieser Funktion ist er der oberste Verfassungshüter und hat das protokollarisch fünftwichtigste Amt im Staat inne. Das Bundesverfassungsgericht überwacht die Einhaltung des Grundgesetzes und entscheidet letztverbindlich jeden Streit über die Regeln der Verfassung. Das Grundgesetz trat am 24. Mai 1949 in Kraft, nachdem es am Tag zuvor erlassen worden war. In diesem Jahr feierte es den 75. Geburtstag.
In seiner Rede erinnerte sich Harbarth an die lange, gemeinsame Wegstrecke mit Andreas Schockenhoff: „Er war ein leidenschaftlicher Parlamentarier. Sein Rat fehlt heute in besonderer Weise.“
In der anschließenden Diskussionsrunde mit Moderator Plate, Scherbarkowa und Harbarth ging es unter anderem um die Frage, was man gegen autoritäre Gegenentwürfe tun könne. Scherbarkowa antwortete, dass sie Historikerin und keine Politikerin sein. Sie zitierte Michail Gorbatschows Aussage „Wir brauchen mehr Wahrheit.“ Mit Blick auf Russland sagte sie, es sei nichts geblieben, „keine Wahlen, keine Justiz, keine Meinungsfreiheit“. Stephan Harbarth betonte, dass es die Aufgabe der Justiz sei zu vermeiden, dass die Ordnung aufgelöst wird. „Es verlang Wahrhaftigkeit nach außen und nach innen. Das System ist jetzt herausgefordert in Zeiten mehrerer Krisen.“
„Populismus bietet ganz einfache Lösungen für schwierige Krisen“, ergänzte Irina Scherbakowa. Das sei eine Täuschung. „Putin glaubt, dass er unsterblich ist. Hoffentlich ist das nicht der Fall“, bekräftigte die Menschenrechtlerin.
Nach der Veranstaltung klang der Abend auf Einladung des Ravensburger Oberbürgermeisters im kleinen Saal des Konzerthauses aus.
Link zur Website der Sonderausgabe der Schockenhoff-Lecture am 13. Dezember 2024 mit Prof. Dr. Stephan Harbarth und Dr. Irina Scherbakowa: https://www.schockenhoff-lecture.de/ausgabe-2024/